Leonhard Euler, einer der brillantesten und produktivsten Mathematiker aller Zeiten, erhielt auf Empfehlung des Basler Mathematikers Daniel Bernoulli eine Stelle an der Kaiserlich Russischen Akademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg und verbrachte den grössten Teil seines Lebens in Russland.
Leonhard Euler wurde am 15. April 1707 als ältester Sohn des Pfarrers Paul III. Euler (1670–1745) und der Pfarrerstochter Margaretha Brucker (1677–1761) in Basel geboren. Den grössten Teil seiner Kindheit verbrachte er in Riehen, weil sein Vater an die dortige Dorfkirche versetzt worden war und besuchte das Gymnasium am Münsterplatz in Basel. Mit 13 Jahren schrieb sich Leonhard Euler 1720 an der Universität Basel für ein Studium der Theologie sowie der griechischen und hebräischen Sprache ein, weil sich sein Vater für ihn eine Pastorenlaufbahn wünschte. In seiner 1723 eingereichten Dissertation verglich Euler die Philosophien von Descartes und Newton. Weil Pfarrer Euler mit der Familie Bernoulli befreundet war, konnte Leonhard wöchentlich Unterricht bei Europas damals führendem Mathematiker Johann Bernoulli nehmen, der die aussergewöhnliche Begabung seines neuen Schülers für Mathematik erkannte und zu fördern begann. Bernoulli überzeugte Paul Euler, dass sich Leonhard besser der Mathematik und Physik zuwende. 1726 schloss Euler eine weitere Dissertation mit dem Titel De Sono, ein Werk über die Schallausbreitung, ab. 1727 beteiligte er sich erstmals am Wettbewerb «Prix de Paris». Der Pariser Akademiepreis galt damals als bedeutendste wissenschaftliche Auszeichnung in Europa. Mit seiner Arbeit löste er das Problem der optimalen Platzierung von Schiffsmasten, belegte aber nur den dritten Platz. In späteren Jahren konnte Euler den Wettbewerb aber in insgesamt zwölf Fällen für sich entscheiden. Um diese Zeit arbeiteten zwei Söhne von Johann Bernoulli an der Kaiserlich Russischen Akademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg. Nachdem der eine Sohn Nikolaus am 31. Juli 1726 an einer Blinddarmentzündung starb, übernahm Daniel dessen Stelle Abteilung Mathematik/Physik. Er empfahl, seine ursprüngliche Stelle in der Physiologie mit seinem Freund Leonhard Euler zu besetzen. Nachdem Euler sich erfolglos um eine Physikprofessur an der Universität Basel beworben hatte, nahm er dieses Angebot im November 1726 an. Am 17. Mai 1727 kam Leonhard Euler in Sankt Petersburg an. Die russische Sprache erlernte er schnell und wurde schon bald auf eine Stelle in der mathematischen Abteilung befördert. Die von Zar Peter dem Grossen gegründete Akademie in Sankt Petersburg verfolgte das Ziel, den wissenschaftlichen Vorsprung Westeuropas aufzuholen. Ausländische Wissenschaftler wurden angeworben, in dem ihnen Zeit und Freiheiten in Aussicht gestellt wurden, um zu forschen und wissenschaftlichen Fragen nachzugehen. Die Akademie verfügte zudem über reichlich finanzielle Mittel und eine umfangreiche Bibliothek. Zarin Katharina I., welche die fortschrittliche Politik ihres verstorbenen Mannes Zar Peters des Grossen fortgesetzt hatte, starb am Tag von Eulers Ankunft in St. Petersburg. Nachfolger auf dem Zarenthron war Peter II, der erst 12-jährige Enkel Peters des Grossen, der mit 15 Jahren im Januar 1730 an Pocken starb. Dies hatte zur Folge, dass der Einfluss des Adels, den ausländischen Wissenschaftlern der Akademie ablehnend gegenüberstand, in Russland wieder an Einfluss gewann. Mittel wurden gekürzt und die Arbeitsbedingungen verschlechterten sich. Trotzdem stieg Euler dank seiner Leistungen rasch auf und wurde 1731 zum Professor für Physik ernannt. 1733 wurde er Nachfolger von Daniel Bernoulli, der Sankt Petersburg wegen nach wie vor nicht mehr guten Bedingungen verliess und nach Basel zurückkehrte. Am 7. Januar 1734 heiratete Leonhard Euler Katharina Gsell (1707–1773), eine Tochter des Malers Georg Gsell. Das junge Paar kaufte ein Haus an der Newa. Von ihren 13 Kindern überlebten nur fünf die Kindheit. 1740 starb Zarin Anna, Nachfolgerin von Peter II. Die politische Wirren und Machtkämpfe nahmen wieder zu und die Arbeitsbedingungen verschlechterten sich erneut. Darum verliess Leonhard Euler mit seiner Familie am 19. Juni 1741 Russland, um eine Stelle an der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften in Berlin zu übernehmen, die ihm von Friedrich II. von Preussen angeboten worden war. In mehr als 200 Briefen erläuterte Euler in den folgenden Jahren auf Wunsch von Friederike Charlotte von Brandenburg-Schwedt, einer Cousine zweiten Grades von Friedrich II., verschiedene Themen der Physik und Mathematik. Diese Briefe bieten wertvolle Einblicke in seine Persönlichkeit und religiösen Überzeugungen und zeugen von seiner Fähigkeit, wissenschaftliche Themen allgemeinverständlich zu vermitteln. Trotz dieser Fähigkeit und Eulers immensem Beitrag für das Ansehen der Akademie geriet er mit Friedrich II. in Streit. Der preussische König bezeichnete ihn als unkultiviert und zu schlecht informiert über die Dinge jenseits von Zahlen und Werten. Zudem war er enttäuscht von Eulers praktischen Fähigkeiten als Ingenieur. Grund für den endgültigen Bruch war der Entscheid Friedrichs II., Euler 1759 nicht zum Nachfolger von Pierre Maupertuis für das Amt des Präsidenten der Akademie zu ernennen. Während des Siebenjährigen Krieges (1756 bis 1763) wurde Eulers Hof in Charlottenburg von den vorrückenden russischen Truppen geplündert. Als General Iwan Petrowitsch Saltykow von diesem Zwischenfall erfuhr, zahlte er Euler eine Entschädigung für dessen verloren gegangenen Besitz. Später erhielt er von Zarin Elisabeth eine weitere Entschädigung von 4000 Rubeln, einer damals enorm hohen Summe. Weil sich die politische Situation in Russland ab 1762 mit der Thronbesteigung von Katharina der Grossen stabilisierte, nahm Euler 1766 eine Einladung zur Rückkehr an die Sankt Petersburger Akademie an. Seine Bedingungen, ein Jahresgehalt von 3000 Rubeln, eine Rente für seine Frau und das das Versprechen, seine Söhne in hohe Positionen zu berufen, wurden erfüllt. Nachdem im Jahr seiner Rückkehr ein Grauer Star entdeckt worden war, erblindete Euler 1771 vollständig. Neben dieser Einschränkung war er in dieser Zeit mit weiteren entscheidenden Ereignissen konfrontiert. So rettete er 1771 bei einem Brand zwar sein Leben, dem Feuer fielen aber grosse Teile seiner Bibliothek zum Opfer. Auch zu Wladimir Grigorjewitsch Orlow, dem neuen Direktor der Petersburger Akademie, hatte er ein schwieriges Verhältnis, sodass er sich bald von seinen offiziellen akademischen Pflichten an der Akademie zurückzog und sich nur noch seinen wissenschaftlichen Arbeiten widmete. Trotzdem der schwierigen Umstände entstand fast die Hälfte seines immensen Lebenswerks in seiner zweiten Petersburger Zeit. Seine gesammelten Schriften «Opera omnia» umfassen 76 Bände – ein mathematisches Werk, dessen Umfang bis heute unerreicht bleibt. Am 18. September 1783 (des gregorianischen Kalenders) diskutierte Leonhard Euler nach dem Mittagessen mit seiner Familie und seinem Kollegen Johan Lexell über den neu entdeckten Planeten Uranus und dessen Umlaufbahn, als er wegen einer Hirnblutung zusammenbrach und gleichentags um 23 Uhr starb. Begraben wurde er neben seiner Frau auf dem lutherischen Smolensker Friedhof auf der Wassiljewski-Insel in Sankt Petersburg. 1837 setzte die Russische Akademie der Wissenschaften als Anerkennung für seine Leistungen einen Stein auf das Grab. Anlässlich des 250. Jahrestags seines Geburtstags wurde der Grabstein zusammen mit Eulers sterblichen Überresten 1956 in die Nekropole auf den Lazarus-Friedhof des Alexander-Newski-Klosters umgebettet. Felix Werner |
Leonhard Euler (Portrait von Jakob Emanuel Handmann, 1756)
Gedenktafel für Leonhard Euler an der Dorfkirche St. Martin in Riehen (Schweiz)
Grab von Leonhard Euler auf dem Friedhof des Alexander Nevsky Klosters in Sankt Petersburg (Russland)
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