Lenin, weltbekannter Revolutionär und Begründer der Sowjetunion, lebte während rund fünfeinhalb Jahren zurückgezogen und unauffällig in der Schweiz, sodass er selbst der politischen Polizei nicht auffiel.
Lenin wurde am 22. April 1870 als Wladimir Iljitsch Uljanow im damaligen Simbirsk (heute Uljanowsk) in eine gutbürgerlich, sozial und kulturell liberal engagierte Familie hineingeboren. Sein Vater Ilja Nikolajewitsch Uljanow war Direktor der Volksschulen des Gouvernements Simbirsk und Mitglied des Staatsrats, der im damaligen Russischen Reich höchsten gesetzesberatenden Körperschaft. 1882 war er von Zar Alexander III. 1882 in den erblichen Adelsstand erhoben worden. Seine Mutter Maria Alexandrowna geb. Blank entstammte aus einer Familie mit jüdisch-deutsch-schwedischen Wurzeln und wuchs auf dem Anwesen Kokuschkino im Gouvernement Kasan auf. Gemäss seiner Nichte Olga Uljanowa ist das Pseudonym «Lenin» vom Fluss Lena abgeleitet und möglicherweise darin begründet sein, dass Georgi Walentinowitsch Plechanow, ein Menschewik und damaliges Idol Lenins, damals das Pseudonym «Wolgin», abgeleitet vom Fluss Wolga, verwendete. Er Wladimir Iljitsch Uljanow verwendete den Namen «N. Lenin» erstmals 1901, um einen seiner Aufsätze zu unterschreiben. 1887 absolvierte Lenin die Matura. Weit prägender war im gleichen Jahr aber die Hinrichtung seines älteren Bruders Alexander Iljitsch Uljanow am 20. Mai 1887 wegen der Zugehörigkeit zum terroristischen Flügel der sozialrevolutionären Bewegung Narodniki und einem geplanten Attentat auf Zar Alexander III. Im gleichen Jahr begann Lenin, an der Universität von Kasan Rechswissenschaften zu studieren. Weil er an einem Studentenprotest teilgenommen hatte, wurde er aber am 6. Dezember 1887, wenige Monate nach der Immatrikulation zusammen mit 38 anderen Studenten von der Universität verwiesen. Er bildete sich im Selbststudium fort und legte 1891 in Sankt Petersburg das juristische Staatsexamen ab. Danach war er als Rechtsanwalt in Samara tätig. Er verurteilte 1891 die Hilfsaktionen der gebildeten Schicht anlässlich der Hungersnot in der Provinz Samara. Er wertete die Hungersnot als Schritt in Richtung Sozialismus, da sie den Glauben an Gott und den Zaren zerstöre. Gleichzeitig forderte er aber vom Pächter seines eigenen Landgutes die Zahlung der vollständigen Pacht, was zur Folge hatte, dass dieser seinerseits von den abhängigen Bauern trotz Hungersnot die vollen Abgaben eintreiben liess. 1893 erfolgte der Umzug nach Sankt Petersburg, wo er in der Rechtsanwaltskanzlei M. F. Wolkenstein als Anwalt tätig war. Parallel zu seiner juristischen Laufbahn hatte Lenin sich bereits 1888, ein Jahr nach der Hinrichtung seines Bruders, den marxistischen Sozialdemokraten angeschlossen, studierte die Theorien von Plechanow, verkehrte in marxistischen Zirkeln und widmete sich der Untergrundarbeit für eine kommunistische Revolution in Russland. 1894 lernte Lenin Nadeschda Krupskaja, die Arbeiter in einem marxistischen Studentenzirkel in Sankt Petersburg unterrichtete, kennen. Sie besuchten gemeinsam politische Veranstaltungen und verstanden sich auf Anhieb. Ein Jahr später führte ihn die erste Auslandreise 1895 auch in die Schweiz, wo er in Les Ormonts zum ersten Mal sein Idol Georgi Walentinowitsch Plechanow traf. Nach seiner Rückkehr nach Russland nahm er Ende 1895 er seine agitatorische Tätigkeit wieder auf, wurde verhaftet und 1897 für drei Jahre nach Sibirien verbannt. 1896 wurde Krupskaja wegen «verbotener Agitation» zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe verurteilt, von der sie sechs Monate verbüssen musste und an die sich eine dreijährige Verbannung anschloss. Ihr Bestimmungsort war das klimatisch ungünstige Ufa. Sie beantragte darum, ihre Verbannungszeit als «Braut» Lenins an dessen Verbannungsort in Schuschenskoje verbringen zu dürfen. Dem Antrag wurde stattgegeben, mit der Auflage, Nadeschda Krupskajas Eheschliessung mit Uljanow müsse «unverzüglich» erfolgen und nach Ablauf seiner Verbannung habe sie alleine nach Ufa zu gehen. Zusammen mit ihrer Mutter Jelisaweta Wassiljewna Krupskaja reiste die junge Frau also nach Sibirien, wo die kirchlichen Eheschliessung 1898 erfolgte. In Schuschenskoje stellte Krupskaja die Schrift «Die arbeitende Frau» fertig, die 1901 in München erstmals gedruckt und in grosser Zahl an Arbeiterinnen verteilt wurde. Ihre Mutter lebte fortan ein Leben lang mit Ehepaar zusammenleben. Sofort nach der Rückkehr aus seiner Verbannung im Februar 1900 suchte Lenin nach einer Möglichkeit, eine von der Zensur unabhängige Zeitung herauszubringen. In Russland war das nicht möglich, und so ging er am 29. Juli 1900 erneut für fünf Jahre ins Ausland. Während eines zweiten Aufenthalts in Genf einigte er sich mit Plechanow über die Herausgabe der Zeitung Iskra («Der Funke»). Im gleichen Jahr gründete er innerhalb der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands den «Bund für die Befreiung der Arbeiterklasse», die spätere Kommunistische Partei Russlands. Die Russische Revolution von 1905, ausgelöst vor allem durch den russisch-japanischen Krieg und den Petersburger Blutsonntag, erlaubte ihm zunächst die Rückkehr nach Russland. Anfang 1908 emigrierte ein zweites Mal nach Genf und lebte danach in Paris und in Poronin bei Krakau. Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 befand er sich zur Kur in Österreich und wurde als Bürger eines feindlichen Landes verhaftet. Der Wiener Sozialdemokrat Victor Adler bewirke, dass Lenin mit Ehefrau Nadeschda Krupskaja und Schwiegermutter in die neutrale Schweiz ausreisen konnte. Passieren konnte sie, weil ihre Pässe eingezogen worden waren, die Grenze allerdings erst auf Ersuchen von Robert Grimm, einem prominenten Vertreter der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz, Nationalrat, Mitglied im Berner Kantons- und Stadtparlament und Chefredaktor der Tageszeitung «Berner Tagwacht». Von 1914 bis 1916 lebe Lenin mit Ehefrau und Schwiegermutter zunächst in Bern und dann an der Spiegelgasse 14 in Zürich. Vom 5. bis 8. September 1915 nahm Lenin an der «Zimmerwalder Konferenz» teil, die vom Schweizer Sozialdemokraten Robert Grimm mit dem Ziel organisiert wurde, die Sozialistische Internationale neu zu organisieren. Die 37 Teilnehmer aus zwölf Ländern verabschiedeten als Resultat das «Zimmerwalder Manifest». An der Konferenz zeigten sich allerdings massive Differenzen zwischen der pazifistischen Mehrheit, zu der Robert Grimm gehörte, und einer radikalen Minderheit um Lenin. Auch an der zweiten geheimen Konferenz der Zimmerwalder Bewegung 24. bis 30. April 1916 in Bern und Kiental war Lenin anwesend. 44 sozialistische Kriegsgegner aus der Schweiz, Russland, Italien Deutschland und Frankreich rechneten in einem zweiten Manifest, deutlich schärfer formuliert als jenes von Zimmerwald, mit den «Mehrheitssozialisten» ab, die der Kriegsführung der nationalen Regierungen zustimmten. Die rund sechseinhalb Jahre des Exils in der Schweiz verbrachte Lenin zusammen mit seiner Frau zurückgezogen in bescheidenen Verhältnissen, so dass ihn die politische Polizei kaum wahrnahm. Erst im Zug der Zimmerwalder Bewegung wurden die radikalen Linken auf ihn aufmerksam, aber noch Anfang 1917 kannten ihn selbst gut informierte Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei nicht. Er trat nur selten an kleinen Veranstaltungen, meist innerhalb des exilrussischen Milieus auf. Schweizerische Einrichtungen wie Bibliotheken, die Post, die medizinische Versorgung oder den Sprachenföderalismus bewunderte er. Nachdem Anfang 1917 in Russland die Monarchie in einer bürgerlichen Revolution gestürzt worden war, wollte die neue Regierung an Russlands Beteiligung am Ersten Weltkrieg festhalten. Lenin und weitere Emigranten verliessen dank der Vermittlung Robert Grimms am 9. April 1917 Zürich und reisten in einem extraterritorialen Eisenbahnwagen unter Leitung Fritz Plattens nach Russland, wo sie am 16. April 1917 in Sankt Petersburg ankamen. Das gegen Russland kriegführende Deutsche Reich stimmte der Durchfahrt Lenins zu, weil man sich von dessen Rückkehr nach Russland ein Wiederaufflammen politischer Unruhen und als Folge davon eine Schwächung Russlands versprach. Lenins Rückkehr nach Russland war eine massgebliche Voraussetzung für die Oktoberrevolution von 1917, in welcher die Bolschewiki unter Lenins Führung die Macht übernahmen. Sie lösten die verfassungsgebende Versammlung gewaltsam auf und schränkten die Meinungsfreiheit ein. Im daraufhin folgenden Bürgerkrieg gelang es den Bolschewiki, den Grossteil der Gebiete des ehemaligen Russischen Reiches unter ihre Kontrolle zu bringen und den Widerstand der bürgerlichen Weissen Armeen und anderer gegnerischer Bürgerkriegsparteien militärisch zu brechen. Lenin war ab 1917 Regierungschef der «Russischen Sozialistische Föderative Sowjetrepublik (SFSR)» und gilt als Begründer der am 30. Dezember 1922 gegründeten Sowjetunion. Zu dieser Zeit war Lenin bereits schwer krank. Nach seinem Tod am 21. Januar 1924 in Gorki bei Moskau wurde sein Leichnam einbalsamiert und ist seither in einem Mausoleum an der Mauer des Kremls aufgebahrt. Felix Werner |
Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin
Lenin-Mausoleum auf dem Roten Platz in Moskau
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