Interview von Nina Fois mit dem neuen Präsidenten Felix Werner
Die Gesellschaft Schweiz-Russland (GSR) wurde im Jahr 1925 unter dem Namen Gesellschaft Schweiz-Sowjetunion (GSS) gegründet. 1944 setzte sich die Gesellschaft aktiv für die Wiederaufnahme der 1923 abgebrochenen diplomatischen Beziehungen zwischen der Schweiz und der Sowjetunion ein und lancierte eine Petition, an welcher sich rund 120'000 unterzeichnende Personen beteiligten. Die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern wurden 1946 wiederaufgenommen, trotzdem standen der GSS die Hindernisse des Kalten Krieges bevor. Letzterer führten zur Einschränkung der Aktivitäten der GSS, die trotz Allem Veranstaltungen und kulturelle Initiativen weiter organisierte. Ab 2013 hat die im 1991 umbenannte Gesellschaft Schweiz-Russland eine Ruhephase erlebt, die anfangs 2020 mit dem neuen Präsidenten Felix Werner zu einem Ende kam: eine neue Phase in der Geschichte der Gesellschaft eröffnet sich heute ihren Mitgliedern.
Am 19. November 2019 hat Ihnen der bisherige Präsident der Gesellschaft sein Amt übergeben. Dies wurde anfangs 2020 anlässlich der Mitgliederversammlung der GSR bestätigt. Woher kommen Ihr Interesse und ihre Leidenschaft für Russland und wie sind Sie zur Idee gekommen, sich als Präsident der Gesellschaft zu bewerben? Interesse für Russland und die übrigen Staaten der ehemaligen Sowjetunion habe ich schon immer gehabt. Ich habe mich für die Geschichte und die Vielfältigkeit der Kulturen interessiert und die unglaubliche Vielfalt der Natur hat mich begeistert. Zudem empfinde ich grossen Respekt vor den existenziellen Ereignissen, mit denen die Menschen im Verlauf der Geschichte immer wieder konfrontiert waren und wie sie diese bewältigt haben. Und dann bin ich tief beeindruckt von der Herzlichkeit, der Hilfsbereitschaft und der Achtsamkeit, welche ich in Begegnungen mit Menschen in Russland immer erlebt habe. Auf einer Reise nach Kasan habe ich 2017 meine zweite Frau Tanja kennengelernt. Diese Gelegenheit, das Land aus einer noch viel unmittelbareren Perspektive kennenzulernen, hat diese Liebe zu Russland noch verstärkt. 2019 habe ich von der Existenz der GSR erfahren und wollte mich darüber informieren. Leider war die Website nicht online und so habe ich mich an den damaligen Präsidenten Manfred Spalinger gewandt. Er hat mir davon erzählt, dass die GSR seit 2013 nicht mehr aktiv sei. Ich war und bin der Überzeugung, dass die GSR allein angesichts ihrer Geschichte weiter existieren muss. Hinzu kommt, dass ich in westlichen Medien oft einen latent negativen Unterton in der Berichterstattung über Russland feststelle. Darum ist es dringend nötig, sich dafür zu engagieren, dass die direkten Kontakte gepflegt und gefördert werden, weil damit die gegenseitige Achtung und das Verständnis und die Leistungen der Geschichte gestärkt werden. Ich wünsche mir einen Umgang, der geprägt ist von gegenseitigem Respekt und Verständnis und dem Verzicht auf belehrende Einmischungen. Dazu möchte ich mit der GSR einen Beitrag leisten.
Im Laufe ihrer Geschichte gehörten der Gesellschaft viele bekannte Persönlichkeiten an, unter anderen auch Fritz Heeb, der Rechtsanwalt von Aleksandr Solschenizyn war. Welche Vorteile und Unterstützungsmassnahmen stehen heute den Mitgliedern der GSR zur Verfügung? Ich habe Ende 2019 eine Umfrage unter den Mitgliedern über ihre Präferenzen durchgeführt. Dabei wurden hauptsächlich vier Anliegen genannt, welche sie sich von der GSR wünschen: Erstens eine funktionierende Informationsplattform, die wir mit der laufend aktualisierten Website geschaffen haben. Zweitens Informationen über Aktivitäten von anderen russisch- schweizerischen Organisationen, drittens eigene Veranstaltungen und viertens Kulturreisen nach Russland. Informationen über Veranstaltungen anderer Organisationen machen wir gerne über unsere Website und via Newsletter bekannt. Als erste grössere eigene Veranstaltung gibt es die Idee eines schweizerisch-russischen Sommerfestes, welches wir ab nächstem Jahr gemeinsam mit befreundeten Organisationen und hoffentlich mit der Unterstützung durch Sponsoren und Partner in Zürich durchführen möchten. Vom 18. bis 26. September 2021 gibt es auch eine erste Kulturreise nach Kaluga.
Zudem bieten wir unseren Mitgliedern Informationen über verschiedenste kulturelle Aspekte und Leute an, die sich dafür engagieren und die GSR soll Interessierten Schweizerinnen und Schweizern dabei helfen, Kontakte zu knüpfen. Als ein Beispiel hatten wir vor wenigen Wochen eine Anfrage des Schweizer Radios für eine Sendung über Wolgadeutsche, für die Personen gesucht wurden, die über ihre Familiengeschichte erzählen konnten.
Ein weiteres Tätigkeitsfeld sind Bestrebungen, die zu Verbesserungen im Zusammenhang mit Reisen und Aufenthalten von Personen aus Russland und den GUS-Staaten in der Schweiz führen. Da gibt es einiges zu tun.
Handelt es sich bei den Mitgliedern der GSR hauptsächlich um Schweizer, die an Russland interessiert sind, oder hat es unter den Mitgliedern auch Russen? Wie pflegt die GSR die Kontakte mit der russischen Diaspora in der Deutschschweiz? Der Grossteil der heutigen Mitglieder sind Schweizerinnen und Schweizer. Demzufolge ist die offizielle Sprache derzeit auch deutsch. Interessierte Russinnen und Russen und Leute aus allen GUS-Staaten sind aber herzlich willkommen und ich hoffe, dass wir irgendwann alle Informationen zweisprachig anbieten können. Die Kontakte zur russischen Diaspora und deren Aktivitäten sind uns sehr willkommen und entwickeln sich gut. Es gibt ja eine ganze Reihe von Organisationen, die sehr aktiv sind. Wo unsere Mitglieder an Veranstaltungen willkommen sind, informieren wir sehr gerne dar-über. Wir sind auch für gemeinsame Aktivitäten offen.
Die Gesellschaft wurde im Laufe ihrer Geschichte mit viele Herausforderungen konfrontiert. Wie haben sich das Ziel und die Vision der GSR über die Jahre verändert und wie würden Sie diese heute beschreiben? Wie werden ihre Bestrebungen in die Realität umgesetzt? Die Geschichte der GSR ist ein Spiegelbild der ambivalenten Beziehungen zwischen der Schweiz und Russland sowie der früheren Sowjetunion. Die Wurzeln der GSR reichen zurück in die Gründungsjahre der Sowjetunion. Die GSR wollte damals in der Schweiz die mit der Russischen Revolution propagierten Ideale bekannt machen und wohl auch dafür werben. Nach dem zweiten Weltkrieg war es ein wichtiges Anliegen, die diplomatischen Beziehungen mit der Sowjetunion als einer der Siegermächte wieder aufzunehmen – gegen den erklärten Widerstand des Bundesrates. Aus dieser Zeit resultiert ein auch für die Schweiz historisch relevanter Skandal um die Unterstützung der GSR durch den bekannten Künstler Hans Erni, über den auf unserer Website nachzulesen ist. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren wurden Reisen in die verschiedensten Regionen der Sowjetunion organisiert, die auch einen propagandistischen Hintergrund hatten. Im Zusammenhang mit Glasnost und Perestrojka stellt sich den damals Verantwortlichen die Frage, ob diese Veränderungen als Chance, Glück oder Katastrophe einzuordnen sei – mit unterschiedlichen Ergebnissen. Aus heutiger Sicht sind mir zwei Dinge wichtig: Alle Aktivitäten der GSR sind geprägt vom gegenseitigen Respekt und Verständnis und dem Verzicht auf Belehrungen und der die GSR will die gegenseitigen Kontakte und das Verständnis für die russische und schweizerische Kultur pflegen und fördern Politisch und konfessionell ist die GSR neutral.
Wodurch unterscheidet sich die GSR von anderen Organisationen (die GSR ist ein Verein, keine Stiftung), die sich ebenfalls auch für die Förderung und Unterstützung der Beziehungen zwischen der Schweiz und Russland/GUS-Staaten einsetzen? Planen Sie in Zusammenarbeit mit anderen bestehenden Organisationen zukünftig Veranstaltungen oder kulturelle Initiativen durchzuführen? Was für einen Outcome erhoffen Sie sich? Die USP ist aus meiner Sicht, dass sich zu einem grossen Teil Schweizerinnen und Schweizer engagieren, denen unsere Ziele ein Anliegen sind. Darum ergänzen unsere Zielsetzungen hervorragend diejenigen, von russischen Organisationen und solchen aus den übrigen GUS-Staaten in der Schweiz. Eine Schnittstelle gibt es auch zu Organisationen, die sich für die wirtschaftliche Zusammenarbeit engagieren, wie das Swiss Russian Forum. Auch hier ergänzen sich die Ziele perfekt. Wir wollen keine Doppelspurigkeiten schaffen. Darum ist die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen wichtig und sehr willkommen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Gesellschaft und welche Strategien und Projekte planen Sie und möchten Sie bis 2025 – dem hundertjährigen Jubiläum der GSR – umsetzen? Welche Rolle soll die GSR für den kulturellen Austausch zwischen der Schweiz und Russland/GUS-Staaten in der Zukunft übernehmen? Ich wünsche der GSR, dass unsere Mitgliederzahl steigt, weil mit jedem neuen Mitglied die Bedeutung und die Wirkung, die wir erzielen können, grösser werden. Ich wünsche mir zudem, dass wir auch die Verbindungen zu Firmen intensivieren können, und dass in Zukunft auch gemeinsame Aktivitäten möglich sind. Bis zum Jubiläum 2025 möchte ich die Geschichte der GSR aufarbeiten lassen. Am Jubiläum selber soll aber nicht der Blick zurück sondern nach vorne im Zentrum stehen – welche Chancen sich durch die Kontakte ergeben, was wir voneinander lernen können und wie wir zusammen Fortschritte erzielen können. Und natürlich wünsche ich mir für 2025 vielseitige kulturelle Aktivitäten – vielleicht so eine Art schweizerisch-russisches Kulturjahr.
Wie schätzen Sie das Angebot der bestehenden Organisationen zum gegenseitigen Austausch und zur Integration der Russen in der Schweiz ein? Was sind Ihrer Meinung nach, die wichtigsten Instrumente zur Aufrechterhaltung und Pflege der Beziehungen zwischen den beiden Ländern? Das Angebot der bestehenden Organisationen beeindruckt mich. Es gibt viele Leute aus der, die sich engagieren und mit viel Liebe und Engagement vielseitige Aktivitäten für ihre Landsleute engagieren. Aus meiner Sicht sind diese Aktivitäten bei Schweizerinnen und Schweizern oft gar nicht oder zu wenig bekannt. Selbstverständlich möchte ich niemandem vorschreiben, überall auch Schweizerinnen und Schweizer einzubeziehen, aber dort wo es willkommen ist, sollten wir gemeinsam daran arbeiten, dass die Angebote bekannt werden. Der persönliche und kulturelle Austausch ist der Schlüssel zu Verständnis, gegenseitiger Achtung und Freundschaft.