Die Macht Russlands wuchs unter Zar Alexander I. erheblich. Das Land erstarkte innerlich und dank gewonnener Kriege spielte der russische Herrscher am Wiener Kongress eine entscheidende Rolle. Seinem Eintreten für eine souveräne und neutrale Eidgenossenschaft ist es massgeblich zu verdanken, dass die Schweiz eigenständig blieb.
Alexander I. Pawlowitsch Romanow wurde am 23. Dezember 1777 in Sankt Petersburg als ältester Sohn von Zar Paul I. und seiner zweiten Gemahlin, Maria Fjodorowna, geborene Prinzessin Sophie Dorothee von Württemberg, geboren. Mit seiner Geburt erhielt er traditionsgemäss den Titel Grossfürst. Sein Vater hielt ihn jedoch für schwach und sentimental und verhielt sich ihm gegenüber misstrauisch und willkürlich. Um Alexanders Bildung kümmerte sich seine Grossmutter, Zarin Katharina die Grosse. Sie beauftragte den Schweizer Frédéric-César de la Harpe, der seit 1783 in Sankt Petersburg weilte, mit der Ausbildung von Alexander und dessen jüngeren Bruder Konstantin. De la Harpe unterrichtete die jungen Prinzen zunächst in Französisch, später auch in den Fächern Geschichte und Geographie. Zudem legte er grossen Wert auf die Vermittlung von Philosophie und Staatskunde. Damit konnte er sein Erziehungskonzept weitgehend umsetzen. Er verankerte das Gedankengut von Jean-Jacques Rousseau («Contrat social») und John Locke («Upon civil government») in der Zarenfamilie. Ganz beenden konnte er seinen Auftrag jedoch nicht, weil der Zarin die rasche Vermählung von Alexander und damit die Klärung dynastischer Zukunftsfragen wichtiger erschien. Am 9. Oktober 1793 wurde der damals 15-jährige Grossfürst Alexander mit Prinzessin Louise Louise von Baden vermählt, die damals 14 Jahre alt war und nach ihrem Übertritt zum orthodoxen Glauben den Namen Elisabeth Alexejewna erhielt. Nach dem Tod von Zarin Katharina der Grossen im Jahr 1796 bestieg Alexanders Vater als Paul I. den russischen Kaiserthron. Von da an begann für Alexander eine Zeit der Demütigungen und Drangsalierungen durch den Vater. Als Folge davon geriet er zusehends unter den Einfluss seiner Mutter, der sein ganzes Leben lang anhalten sollte. Zar Paul I wurde zum Verhängnis, dass er – seinerseits zeitlebens von seiner Mutter Katharina gedemütigt – von der fixen Idee besessen war, ihre Entscheide rückgängig zu machen. Er amnestierte Verurteilte, schaffte die Wehrpflicht ab, schränkte die Macht der Grundbesitzer über die Leibeigenen ein und begrenzte deren Arbeitspflicht zu Gunsten der Landbesitzer auf drei Tage pro Woche. Zudem erliess er ein Dekret, dank dem nur noch männliche Nachkommen zur Thronfolge zugelassen waren. Damit machte er sich grosse Teile des Adels zu Feinden. Am 23. März 1801 wurde er von Platon Alexandrowitsch Subow und General Peter Ludwig von der Pahlen mit seiner eigenen Schärpe erdrosselt, weil er sich geweigert hatte, seine Abdankung zu unterschreiben. Alexander wurde am Folgetag im Alter von 23 Jahren zum Zaren gekrönt. Nicht endgültig geklärt ist die Frage, ob die Pläne für die erzwungene Abdankung seines Vaters mit seinem Einverständnis verfolgt worden sind. Als sicher gilt jedoch, dass er den Mord nicht gebilligt hatte. Trotzdem hatten die Mörder und ihr Hintermann, General Levin August von Bennigsen, offensichtlich grossen Einfluss auf Alexander und gingen straffrei aus. Seiner Persönlichkeit und Bildung entsprechend war Alexander in den ersten Jahren seiner Regentschaft bemüht, die innere Entwicklung Russlands zu fördern. Er ordnete das Finanzwesen, setzte sich für die Bildung ein und war bemüht, Verbesserungen für die Leibeigenen zu erreichen. So verbot er 1801, Leibeigene zum Verkauf auszustellen oder in den Zeitungen anzubieten, verringerte die Hürden für ihre Freilassung und ermöglichte es Freigelassenen, sich in Städten niederzulassen. Gleichzeitig vermied der kriegerische Einmischungen in europäischen Angelegenheiten. 1802 schloss er einen Freundschaftsbund mit König Friedrich Wilhelm III. von Preussen, der lebenslangen Bestand hatte und er traf sich mit Napoleon Bonaparte, damals Erster Konsul der Französischen Republik, um eine friedliche Lösung für die seit 1792 immer wieder aufflammenden kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und seinen europäischen Machtrivalen zu erreichen. Die als Koalitionskriege oder Napoleonische Kriege bekannten Auseinandersetzungen dauerten jedoch fort. 1804 kam zu zum Bruch zwischen Alexander und Napoleon und so beteiligte er sich in der Schlacht von Austerlitz («Drei-Kaiser-Schlacht») an der Seite von Österreich gegen Frankreich, aus der Napoleon als Sieger hervorging. Danach zog sich Russland zunächst aus dem Bund gegen Napoleon zurück, griff aber 1807 wieder ein, nachdem Preussen grosse Teile seines Territoriums an Frankreich verloren hatte. Als preussische und russische Truppen von Napoleon bis über die Memel zurückgedrängt wurden, vermittelte Alexander den Frieden von Tilsit, der am 25. Juni 1807 in einem Pavillon vereinbart wurde, der auf zwei Flössen in der Mitte der Memel errichtet worden war. In der Folge liess sich Alexander von Napoleon, dessen Fähigkeiten er bewunderte, zum zweiten Mal für dessen Vorschlag einer gemeinsamen Verständigung über europäische Angelegenheiten gewinnen. 1808 erneuerte Alexander den Bund mit Frankreich im Gegenzug für das Versprechen, sich die Türkei als Besitz einzuverleiben. Bald kam es jedoch zum erneuten Bruch. 1811 wurden auf französischer und russischer Seite Kriegsvorbereitungen getroffen. Alexander verlegte fünf zusätzliche Divisionen an die Grenze zu Polen und verstärkte die Truppen an der Grenze mit 180 Kanonen verstärkt. Die Rüstungsfabriken in Tula und Alexandrowsk erhielten die Anweisung, selbst an hohen Feiertagen zu arbeiten. Alexander versicherte sich der Unterstützung Polens, Preussens und Österreichs. Der russische Militärattaché Alexander Iwanowitsch Tschernyschow war nach mehreren Reisen nach Paris und ausgedehnten Verhandlung davon überzeugt, dass ein Krieg für Napoleon beschlossene Sache sei. Fürst Alexander Kurakin, der russische Gesandte in Paris, musste sich am 15. August 1811 auf einem Empfang zum Geburtstag Napoleons den Vorwurf anhören, Russland plane seinerseits einen Angriff. Am 24. Juni 1812 begann der Russlandfeldzug Napoleons. Während des Krieges gab es in Sankt Petersburg durchaus Forderungen nach Frieden, sogar von der Mutter des Zaren und seinem Bruder, dem Grossfürsten Konstantin. Und auch Alexander zweifelte zeitweise an der Chance auf einen Erfolg. Es gelang aber Teilen der Generalität und des Adels, seinen Optimismus wieder anzufachen. Alexander erklärte, die Waffen nicht niederlegen zu wollen, ehe Napoleon gestürzt sei. Nach ersten Erfolgen eroberte die französische Armee am 14. September Moskau. Die Russen hatten die Stadt jedoch vorher evakuiert, sodass Napoleon einen leeren Kreml vorfand. Trotz der Evakuierung blieben rund 10'000 verwundete oder kranke Soldaten und Teile der Zivilbevölkerung zurück. Am Abend kam es, möglicherweise durch den sorglosen Umgang französischer Soldaten von betrunkenen französischen Soldaten oder durch Brandstiftung, zu ersten Bränden, die zunächst unter Kontrolle gebracht werden konnten. Ein Sturm am 16. September fachte sie jedoch wieder an und führte dazu, dass sich das Feuer schnell ausbreitete. 75 % der Stadt, die zu zwei Dritteln aus Holzhäusern bestand, wurden vernichtet. Viele Menschen starben in den Flammen. In einem Brief an den Zaren machte Napoleon am 20. September den Gouverneur von Moskau, Graf Rostoptschin, für die Brände verantwortlich. Nach seiner Darstellung waren 400 Brandstifter auf frischer Tat ertappt worden. Sie hatten Rostoptschin als ihren Auftraggeber genannt und wurden erschossen. Die Feuerspritzen der Stadt waren auf Anweisung Rostoptschins aus der Stadt entfernt oder zerstört worden. Nach dem Brand wurden 11’959 Tote sowie 12’456 Pferdekadaver gezählt. Von 9’158 Häusern waren 6’532 zerstört, von den 290 Kirchen 127. Napoleon hatte zwar Moskau erobert, wartete jedoch vergeblich darauf, dass ihm der Zar Verhandlungen anbot. Daraufhin entsandte Napoleon General Lauriston zweimal als Unterhändler, aber auch der konnte den Zaren nicht zu Gesprächen bewegen. Während dieser Zeit herrschte, abgesehen von einigen Scharmützeln, ein stillschweigender Waffenstillstand. Die russische Armee nutzte die Zeit und führe Verstärkungen heran. Inzwischen hatte sich Grossbritannien mit erheblichen Geldmitteln und Waffenlieferungen an Russland am Krieg. Am 13. Oktober beschloss Napoleon wegen der Aussichtslosigkeit, zu einer Verständigung zu kommen, den Rückzug. Die zurückgewiesenen Friedensangebote und der Rückzug der Franzosen riefen die religiöse und nationale Begeisterung der Russen wach. Das mehr dem Hunger und dem Russischen Winter als den Waffen weichende französische Heer wurde auf seinem Rückzug hart bedrängt und fast vernichtet. Alexanders Entschluss für die Fortführung des Krieges begünstigte auch die Erhebung Deutschlands, die ohne seine Unterstützung kaum möglich gewesen wäre. In den Befreiungskriegen übte Alexander mächtigster unter den verbündeten Herrschern sowohl bei militärischen Operationen wie bei der schonenden Behandlung Frankreichs grossen Einfluss aus. Die vernichtende Niederlage von Napoleon am 18. Juni 1815 in der Schlacht von Waterloo machte den Weg frei für den Wiener Kongress, an dem die europäischen Mächte vom 18. September 1814 bis zum 9. Juni 1815 über die Neuordnung Europas verhandelten. Zar Alexander I. kam dabei eine entscheidende Rolle zu. Für die Schweiz machten sich die guten persönlichen Beziehungen von Frédéric-César de la Harpe und Antoine-Henri Jomini (der sich als Adjutant des Zaren im Rang eines Generalleutnants bei der Völkerschlacht bei Leipzig im Oktober 1813 grosse Verdienste erworben hatte) zum Zaren bezahlt. Sie bewogen Alexander I., gegen die Eigeninteressen der anderen europäischen Grossmächte an der Einverleibung der Eidgenossenschaft deren Souveränität und Neutralität durchzusetzen. Alexanders Unsicherheit über den richtigen Weg zu einer guten Weltordnung zeigt sich in einer Haltung zu den Freimaurern. Dem Bund gegenüber zunächst skeptische gesinnt, gab er ein Gutachten in Auftrag. Aufgrund der positiven Beurteilung wurde die Freimaurerei 1810 in Russland genehmigt, und der Zar trat dem Bund sogar selbst bei. Auf ausländischem Druck hin wandte sich der Kaiser später wieder davon ab und 1822 erging der Befehl, alle geheimen Gesellschaften und auch die Freimaurerlogen aufzulösen. Alexander zerrieb sich zusehends zwischen seinem christlich-frommen Ideal einer Heiligen Allianz, durch die Frieden auf der Welt geschaffen werden könnte und der Realität der Unzufriedenheit breiter Kreise, insbesondere des erstarkenden Bürgertums, gegen die traditionellen Systeme. Auf dessen Forderungen nach weiteren Reformen reagierte er, wohl auch unter dem Einfluss von Einflüsterungen, zunehmend mit Repression und weigerte sich, Zugeständnisse zu machen. Seine eigenen Ideale früherer Jahre gingen verloren. Zusätzlich verdüstert wurde der Gemütszustand des Zaren 1824 durch eine verheerende Überschwemmung Sankt Petersburgs. Im Sommer 1825 verschlechterte sich der Gesundheitszustand seiner Frau Elisabeth Alexejewna, die trotz seiner Ausschweifungen und Fehltritte stets zu ihm gehalten hatte, zusehends. Die Ärzte rieten ihr zu einem längeren Aufenthalt in einem warmen Klima. Alexander beschoss, seine Frau auf dieser Reise zu begleiten. Mitte September traten sie eine Reise auf die Krim an und bezogen ein Palais in der Stadt Taganrog. Dort befiel ihn das Krimfieber, eine Viruserkrankung an der er am 1. Dezember 1825 verstarb. Am 25. März 1826 wurde er in der Peter und Paul Kathedrale in Sankt Petersburg begraben. Seine Frau Elisabeth Alexejewna, die ihrer Mutter schrieb, sie wünsche Alexander bald in den Tod zu folgen, war erst Anfang Mai 1826 in der Lage, von der Krim abzureisen. Auf der Reise ging es ihr so schlecht, dass sie in der Stadt Beljow eine Pause einlegen musste. Dort fand sie eine Kammerzofe am frühen Morgen des 16. Mai 1826 tot in ihrem Bett. Sie war an Herzversagen gestorben. An Zar Alexander I. erinnern viele Denkmäler in Russland, allen voran die Alexandersäule auf dem Schlossplatz in Sankt Petersburg. Weniger bekannt ist, dass der Alexanderplatz in Berlin bereits 1805 ebenfalls nach ihm benannt wurde und er zudem Namensgeber der antarktische Alexander-I.-Insel ist. Felix Werner |
Zar Alexander I. im Jahre 1824 (Bild von George Dawe)
Palais in Taganrog, Sterbeort von Zar Alexander I.
![]() Alexanderplatz in Berlin
|
© 2023, Gesellschaft Schweiz-Russland
|